Christel schließt ihr „Büdchen“ für immer

61 Jahre lange war Christel Hoffmann als Krankengymnastin in der Curiesiedlung für ihre Patienten da. Nun mit 87 Jahren hat sie schweren Herzens ihre Praxis aufgegeben. So emotional war der letzte Tag.

Nach 61 Jahren im Dienst der Gesundheit hat Christel Hoffmann (87) ihre Krankengymnastik-Praxis für immer geschlossen. Auch für die WOBAU als Vermieter heißt es, von einer Institution Abschied zu nehmen, und Danke zu sagen.
Christel Hoffmann mit ihrem Mann, für den sie mehr Zeit haben möchte, dahinter WOBAU-Geschäftsführer Peter Lackner, der die jahrzehntelange Gewerbemieterin persönlich verabschiedete.

Der Abnahmetermin mit der WOBAU für die Geschäftsräume ist da. Doch Christel Hoffmann hat noch zu tun. Sie macht, was sie seit 61 Jahren so gut wie jeden Tag gemacht hat: Sie behandelt einen Patienten, der im Behandlungsraum auf ihrer Pritsche liegt.
Auch an diesem Tag Ende August ist ihr Terminkalender noch voll. „Mein ,Büdchen‘ ist doch mein Leben, ich kann es mir ohne noch gar nicht vorstellen. Es ist auch schon so manche Träne geflossen, ich schlafe seit Tagen ziemlich schlecht, bin tieftraurig“, sagt die 87-jährige Krankengym­nastin, der die Menschen im Norden Magdeburgs seit Generationen vertrauen, offen und ehrlich. Im vorderen Raum ist die Sprossenwand schon abgebaut worden, ein Tischchen und zwei Stühle stehen noch. Im Fenster leuchtet eine Tischlampe. Die Gardinen hängen noch.

Zum 1. September 1963 erhielt sie die Geschäftsräume in der Pettenkoferstraße 21 im früheren Milchladen der DDR-Handelsorganisation HO. Auf Anweisung des Bürgermeisters. Christel Hoffmann: „Ich arbeitete damals in einer Orthopädiepraxis. Doch der Norden Magdeburgs war unterversorgt, es gab keine Krankengymnastik. Das sollte ich übergangsweise für ein Jahr übernehmen. Daraus sind ein paar Jahre mehr geworden“, erzählt Christel Hoffmann und lacht ihr ansteckendes Lachen. Sie fügt hinzu: „Es macht mir nach wie vor Spaß. Meine Patienten brauchen mich, und ich brauche meine Patienten.“

Auch ihr Sohn, 1973 geboren, hatte in der kleinen Praxis später quasi sein zweites Zuhause. Doch jetzt war er die treibende Kraft hinter dem Abschied für immer, wie er freimütig zugibt. „Er hat gesagt, Mammi, ich habe die Räume bei der WOBAU zum 31. Juli gekündigt. Das musste ich erst mal verdauen“, erzählt Christel Hoffmann. Doch zu Hause wird sie gebraucht, sorgt für ihren pflegebedürftigen Mann. Es sei schön, dass sie jetzt für ihn da sein könne, ohne immer auf die Uhr zu schauen. „Ich habe bei der WOBAU angerufen und gesagt, den August brauche ich aber noch, um Abschied zu nehmen. Viele sagen jetzt auch, ich bin hier zwar nur Patient, aber ich verliere mein Zuhause.“
Die Verlängerung um einen Monat war natürlich kein Problem, immerhin war Christel Hoffmann mit ihrem Mietvertrag von 1963 mit ganz weitem Abstand die langjährigste Gewerbemieterin der WOBAU, wie Geschäftsführer Peter Lackner bestätigt.

Zum Abschied überraschte WOBAU-Geschäftsführer Peter Lackner FCM-Fan Christel Hoffmann mit einem Heimtrikot des Clubs. Sie ist bei jedem Heimspiel im Stadion dabei.

Auch er kam zu diesem Anlass persönlich in die Pettenkoferstraße und bedankte sich für die jahrzehntelange Treue. „Ich habe selbst vor vielen Jahren hier in der Curiesiedlung gewohnt und war bei Ihnen zur Behandlung, weil ich Rücken hatte“, verriet der WOBAU-Chef. Er hatte für FCM-Fan Christel auch ein aktuelles Trikot des Zweitliga-Teams mitgebracht. „Wir haben Dauerkarten, sind zu jedem Heimspiel im Stadion“, so Christel Hoffmann. Die Verbindung zum Club ist eng. Vor ihrer Selbstständigkeit hatte sie u.a. für  FCM-Vorgängerverein Motor Mitte gearbeitet und die Fußballer, aber auch andere Sportarten betreut.
Wie geht es jetzt weiter, ohne Praxis? „Ich weiß es nicht, das lasse ich auf mich zukommen“, sagt Christel Hoffmann. Vielleicht werde sie den einen oder die andere noch privat behandeln, sagt sie mit einem Augenzwinkern und wischt sich ein Tränchen aus dem Gesicht. Nun wird es wahr: Christel schließt ihr „Büdchen“ für immer. Aber wie heißt es doch so schön: Niemals geht man so ganz.